Zwei Gedenktafeln in Streu bei Schaprode enthüllt


Berichte von Einheimischen.

Ehemaliger Ort des Widerstandes gegen Hitler ist heute denkmalgeschützte Anlage

Am 20. Juli 1944 scheiterte das Attentat auf Hitler. Das ist 70 Jahre her. Was kaum jemand weiß: Auch auf Rügen wurde dieses Attentat vorbereitet. Am vergangenen Wochenende ist aus diesem Anlass am Gutshaus Streu bei Schaprode eine Gedenktafel angebracht worden. Erinnert wird damit an Hans Volckmann (1885-1953), bei dem sich regelmäßig führende Vertreter der deutschen Wehrmacht im Widerstand gegen Hitler und das Naziregime trafen. Wer war dieser Hans Volckmann? Was waren das für konspirative Treffen auf Gut Streu? Und welches Schicksal erlitten die Beteiligten? Antworten darauf können Gisa und Hans-Peter Reimann geben, die das Gut nicht nur gekauft und saniert haben. Sie beschäftigten sich auch mit dessen Historie.

Man reißt das Haus nicht ein, das Väter fest gebaut. . .“
Streu ist ein kleines Dorf. „Wenn du zum Gutshaus willst, musst du dort rechts ab“, sagt ein grauhaariger Mann, der am Gartenzaun steht und seine Katze beim Mäusefangen beobachtet. Eine holprige und schattige Gasse führt zu einem großen Tor. Weiß strahlt das Gutshaus Streu in der Sonne, eine malerische Silhouette vor dem Blau des Himmels. Strahlend begrüßen auch die Eigentümer Gisa und Hans-Peter Reimann den Besucher. Sie öffnen die schwere und reich verzierte Barocktür, über der eine alte Terrakotta-Platte ihren Leitspruch trägt: „Man reißt das Haus nicht ein, das Väter fest gebaut. Doch richtet man´s sich ein wie man´s am liebsten schaut.“

„Hier lebt es sich gut“, sagt Hans-Peter Reimann. Ende der 90er Jahre hat es ihn von Hamburg nach Rügen verschlagen. Seine Tante hatte mit 95 Jahren einen Antrag auf Rückübertragung für eine Villa in der ersten Reihe an der Binzer Strandpromenade gestellt und sie auch zugesprochen bekommen. Das Haus wurde saniert und wird als Pension genutzt. „Doch zum Wohnen haben wir uns etwas anderes suchen wollen“, erzählt der Hausherr. Mit seiner Frau und dem Buch „Schlösser und Herrenhäuser auf Rügen“ zog er über die Insel und stieß an einem nebligen Novembertag auf das völlig eingewachsene und marode Gutshaus, das noch bis kurz nach der Wende als Wohnhaus genutzt worden war.

Ein hartes Stück Arbeit lag vor den Reimanns. Warum tut ihr euch das an, soll der erwachsene Sohn gefragt haben. Mit über 60 sei es doch vernünftiger, durch die Welt zu reisen, als sich mit einem denkmalgeschützten und hilfebedürftigen Haus abzugeben.

Doch die Reimanns ließen sich nicht abschrecken. „Was wir nicht schaffen, sollte die nächste Generation fortführen, war unsere Devise. Aber wir haben mehr erreicht, als wir es uns erträumt hatten. Und wir haben gute Erfahrungen mit den Verantwortlichen vom Denkmalschutz auf der Insel gemacht“, freut sich Hans-Peter Reimann. Drei Generationen der Familie wohnen jetzt unter einem Dach. „Das Schöne war, dass wir das Haus mit seinen zwei Flügeln teilen und auch das denkmalgeschützte Stallgebäude renovieren konnten.“

 

Wir fühlen uns nicht als Gutshausbesitzer. . .“
Der weitläufige Garten, in dem ein alter Walnussbaum, ein Gewächshaus im viktorianischen Stil und ein Pavillon stehen, grünt und blüht. Efeu und wilder Wein ranken am Haus. Auch hier sucht und findet die talentierte Gisa Reimann Motive, die sie dann mit Pinsel und Farbe auf Leinwand festhält. „Wir fühlen uns nicht als Gutshausbesitzer, eher als Verantwortliche für dieses Denkmal“, sagt sie. Schließlich reiche die Geschichte des Gutes bis ins 13. Jahrhundert zurück.

Das Gut war einst in Besitz der Familie von der Osten. Anfang des 18. Jahrhunderts wurde es an die Familie von Platen verkauft. Auch die Familien von Lotzow und von Bohlen waren später Eigentümer. Seit Ende der 1990er Jahre ist das zwischen 1790 und 1800 errichtete und 1871 im Stile der Neogotik umgebaute Gutshaus nun in den Händen der Reimanns und dort gut aufgehoben. „Für die Festspiele MV ist es leider zu klein, aber für Kunst und Kultur sind wir jederzeit offen“, sagt Hans-Peter Reimann, für den immer der Weg das Ziel war und ist.

 

Konspirative Treffen auf Gut Streu

Auf diesem Weg beschäftigten sich die Reimanns auch mit dem früheren Gutsbesitzer Hans Volckmann und stießen dabei auf eine bislang unbekannte und noch nicht weiter erforschte Geschichte:

Geboren wurde Hans Volckmann am 5. Dezember 1885 auf Streu als Sohn des Johannes Volckmann, der 1899 das zuvor als Pächter bewirtschaftete Rittergut Streu von der Familie von Bohlen käuflich erworben hatte. 1912 heiratete er Ines von Kessel, da war er schon Kavallerie-Leutnant der Reserve. 1914 wurde er zum Militärdienst beim Regiment Jäger zu Pferde in Insterburg einberufen und war bis 1915 im Kriegseinsatz im Osten. Er erhielt das Eiserne Kreuz 2. Klasse, wurde zum Oberleutnant und 1916 zum Rittmeister der Reserve befördert. Er erhielt den Roten Adlerorden und das Hilfsverdienstkreuz. Nach dem Ersten Weltkrieg bewirtschaftete er die Domäne Kienberg und trat 1920 dem „Stahlhelm“ bei. Seine deutsch-nationale Gesinnung fand später Ausdruck in den zahlreichen Relieftafeln, die sich an ehemals zum Gut gehörenden Gebäuden in Streu und Schaprode befinden.

Nach dem Tod seines Vaters erbte er 1922 das ehemalige Rittergut Streu. Im Januar 1934 wurde er von der Gestapo verhaftet und in das KZ Bredow bei Stettin gebracht. Von einem Sondergericht des Landgerichts Stettin wurde er im März zu drei Monaten Gefängnis wegen Vergehens gegen § 3 der Verordnung des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung vom 21. März 1933 verurteilt, die er aus gesundheitlichen Gründen im Lazarettgefängnis des Amtsgerichtes Stettin verbrachte.

In Streu gab es regelmäßige Treffen führender Militärs der deutschen Wehrmacht im Widerstand gegen Hitler und das Naziregime. Von den Teilnehmern sind General Otto v. Stülpnagel und Generaloberst Fromm belegt. Volckmann selbst nennt in späteren Schreiben Namen wie Generaloberst v. Hammerstein, v. Witzleben, Fromm , Oberst Staehle, Generaloberst Beck, General v. Ammon, u.a.. Von Zeitzeugen werden weitere Namen, wie v. Stauffenberg und v. Seydlitz genannt. „Wer wann und wie häufig an diesen Treffen teilgenommen hat, bedarf noch eingehender Nachforschungen“, so Hans-Peter Reimann. Verraten wurden die Zusammenkünfte von dem Diener, ist überliefert. Handschriftliche Aufzeichnungen aus jener Zeit und ein Gehörn eines auf Streu geschossenen Rehbockes bekamen die Reimanns von Karl Staudinger aus Binz aus dem Nachlass seiner Mutter. „Mein Vater hat an zwei der Treffen teilgenommen“, so Karl Staudinger.

Warum sich diese hohen Offiziere mehrfach beim Rittergutsbesitzer Hans Volckmann aufhielten? Hans-Peter Reimann hat dafür eine einfache Erklärung: „Hans Volckmann und Fromm waren Regimentskameraden und Fromm bei ihm häufig auf Rügen zum Krebsessen oder zur Jagd.“ Besonders interessant sei die Schilderung eines gemeinsamen Jagdansitzes am 31. August 1939 in Streu. Fromm habe sich mit den Worten verabschiedet: „Vergessen Sie nicht, morgen früh Ihr Radio anzustellen.“ Am 1. September begann der Zweite Weltkrieg. „Zur Täuschung des Feindes war Fromm wohl bis Mittag in Streu.“

 

Schicksalsjahre nach dem Krieg

Am 20. Juli 1944 wurde Volckmann nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler zum wiederholten Mal verhaftet und in das Amtsgerichtsgefängnis Stralsund verbracht. Weil man ihm aber eine Beteiligung an der Verschwörung nicht nachweisen konnte, erhielt er wegen seiner lebensbedrohenden Herzerkrankung jedoch bis auf weiteres Haftverschonung. Im November 1944 sowie im Januar 1945 wurde er wiederum verhaftet, bekam aus gesundheitlichen Gründen erneut Haftverschonung, wurde jedoch unter Polizeiaufsicht gestellt. Vor der Absicht der Parteileitung, ihn wieder in ein KZ zu verbringen, rettete ihn der Einmarsch der Roten Armee.

Im September1945 wurde er in Streu enteignet, als anerkanntes Opfer des Faschismus allerdings mit 25 Hektar „Neubauernland“ in Götemitz/Rügen entschädigt. Einer im März 1953 bevorstehenden erneuten Verhaftung wegen seines Widerstandes gegen die Zwangseingliederung in die LPG entging er durch Flucht in den Westen. Er starb nur einen Monat später in Uelzen/Niedersachsen.

 

Rügens ehemalige Landrätin, die Bundestagsabgeordnete Kerstin Kassner, und Hans-Peter Reimann enthüllten vor zahlreichen Gästen und dem eigens aus Australien angereisten Volckman-Enkel Sven Krollpfeiffer die Gedenktafel und eine weitere Tafel, auf der das Einzeldenkmal Gutsanlage Streu näher beschrieben ist.

„Den Reimanns ist es gelungen, dieses Gut der Nachwelt zu erhalten und einen Beitrag zur Geschichtsaufarbeitung zu leisten“, würdigte Kerstin Kassner das Engagement. Im Jahre 1903 gab es auf Rügen noch 223 Gutshöfe. Heute stehen 79 Gutshäuser unter Denkmalschutz. Als schützenswerte Anlagen sind 27 gelistet. Streu gehört auf dieser Liste zu den besonders bedeutenden. Von der ehemaligen Gutsanlage sind unter anderem das Gutshaus mit dem ehemaligen Wirtschaftsflügel, der Park, der ehemalige Pferdestall, Fundamente des Rinderstalls und einer Feldscheune, ein Trafohaus, ein Fachwerkkaten, das Verwalterhaus und das Inspektorenhaus mit Stall und Obstgarten erhalten geblieben.

 

 


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